Einsteins Kinder

Forschungsprojekt Einsteins Kinder®

Geschichten erzählen im sozialen Brennpunkt zur Förderung von Begabungen und sozial-emotionaler Kompetenzen in der Schule

Eine 3-jährige Studie im Bereich Inklusion/ sozialer Brennpunkt mit dem Lehrstuhl für Erziehungshilfe und sozial-emotionale Entwicklungsförderung der Universität zu Köln.

Das Forschungsteam besteht aus Prof. Dr. Hennemann (Lehrstuhlinhaber), Frau Groß (wissenschaftliche Mitarbeiterin), Studierende des Lehrstuhls, den professionellen Erzählerinnen Regina Sommer, Odile Neri-Kaiser, Kathinka Marx  und Grundschulen in Herzogenrath, Aachen und Weil der Stadt.

Initiatorin des Projektes: Regina Sommer

Idee

Mithilfe einer wöchentlichen Erzählstunde, die ein Teil des Schulunterrichtes in der Grundschule ist, Schülern gemäß Albert Einstein zu ihrer Intelligenz/ihren Begabungen  zu verhelfen bzw. im humboldtschen Sinne zu bilden.  

„Wir waren auf der Bühne des Lebens!“ (Kololo Dalcha, 7 Jahre Nigeria) „Vielleicht hören die Kopfschmerzen auf, wenn Du mir auf den Kopf trittst und ich bekomme auch noch einen Edelstein wie in dem Märchen!“ (Ranim, 7 Jahre Marokko) Aussagen von Kindern in Schulen des sozialen Brennpunktes, nachdem sie eine Zeitlang Märchen in der Schule hörten. 

Als Albert Einstein von Eltern gefragt wurde, wie sie die Intelligenz ihrer Kinder fördern könnten, antwortete er: „Erzählen Sie ihnen Märchen!“ 

Was haben Märchen erzählen und Intelligenz/Fähigkeiten miteinander zu tun. Welche Intelligenz ist überhaupt gemeint? Geht es um die Bemessung der mathematisch-logischen und verbal-linguistischen, die zwei, die anerkannt sind und damit im jetzigen Bildungssystem gemessen und gefördert werden? Oder meinte Einstein außerdem noch die Entwicklung anderer Intelligenzformen, wie emotional (intrapersonell), musisch, räumlich, kreativ, sozial(interpersonell), ein Gespür für Ethik, eine Orientierung im sozialen und physischen Umfeld, existentielle Intelligenz, Intelligenz bei der Mustererkennung. Begabungen, die wir für das Heute und das Morgen brauchen, wenn es nach Pablo Picasso ginge. Fähigkeiten, die vielleicht in Kindern schlummern, die wir bislang als „besonders förderungsbedürftig“  ansahen oder die aufgrund ihres Umfeldes eine andere Sozialisation erfuhren. 

Warum meinte Einstein erzählen und nicht vorlesen? Laut Prof. Dr. Michael Page, von der Universität Texas, gibt es eine Art Decodierungssystem im Gehirn, wie vermittelndes Wissen erfasst und verarbeitet werden kann. Er unterscheidet 6 Arten, Mechanismen, Wege.  Es handelt sich hier u.a. um Rhythmus, um Logik, um Sprache, um Bewegung. Jeder Mensch verfügt über ein bis zwei Spitzen. Werden diese vom Lehrenden benutzt, kann gelernt werden, ja fällt es sogar leicht. Beim Erzählen werden alle Mechanismen angesprochen, so dass jeder Zuhörer in die Lage versetzt wird, Wissen auf zu nehmen, zu verstehen und zu verarbeiten. Träfe das zu, wäre das Erzählen auf jeden Fall eine Bereicherung für den Schulunterricht.

Warum erzählen?

Erzählt der Mensch doch von Kindesbeinen an! Tatsächlich kann jeder erzählen und es ist eben auch eine Kunst. Der wahre Erzähler weiß um die Verbindung zwischen Sender und Empfänger. Der eine ist bereit etwas mit-zu-teilen, der andere ist willig, sein Ohr zu leihen. Ein jeder ist auf den anderen angewiesen. Zwischen beiden befindet sich im virtuellen Raum das Märchen, das es gilt ins Hier und Jetzt zu holen. Es liegt am Erzähler, die Zuhörer aus dem realen Raum der Umgebung in den vorgestellten der Erzählhandlung zu entführen und zudem die Geschichte so zu erzählen, dass der andere nicht nur passiv dem Gesagten lauscht, sondern beim Entstehen der Geschichte mitwirkt. Und hier ist der Künstler gefragt, der nicht nur das Handwerkszeug des Erzählens besitzt: bewusster Einsatz von Sprache, Mimik, Gestik, Bewegung, Rhythmus (das Wie des Erzählens); Repertoire (das Was), sondern über seine Begabung hinaus, das Gefühl und das Gespür entwickelt hat, welches Märchen wie erzählt werden soll. Zwar kommt ein Erzähler oft mit einer bestimmten Geschichte zum Erzählort, doch kann eine Situation, ein Gespräch, eine Atmosphäre plötzlich etwas anderes in einem auftauchen lassen. Hier muss ich bereit sein, dem Moment zu folgen und in mich zu lauschen. Ein kurzes Gespräch mit den Zuhörern, ein paar einleitende Worte lassen die richtige Geschichte in einem entstehen. Die Erzählung nimmt ihren Lauf. Doch wie? Denn wer erzählt, hat meistens keinen festen Text, an den er sich hält. Die Erzählung verwirklicht sich während des Erzählens und dazu ist der Erzähler auf sein Publikum angewiesen. Dieses lauscht, kommentiert, rollt die Augen, bewegt sich unruhig auf den Stühlen, beugt sich gebannt nach vorne, alles Äußerungen, die der Erzähler aufnimmt und die die Erzählung beeinflussen. Diese Signale und andere kaum merkbare Zeichen geben dem Erzähler zu verstehen, wie seine Geschichte aufgenommen wird. Es liegt an ihm, die Zuhörer mit seiner Geschichte zu berühren und mit seiner Kunstfertigkeit zu fesseln. Kein Erzähler ist nur auf die Sprache reduziert. Seine Hände, seine Stimme, ja sein ganzer Körper erzählen mit. Eine Kopfwendung nach links und sein Blick nach hinten, wo er den Helden auftauchen sieht, veranlasst den Zuhörer, sich um zu drehen. Eine Handbewegung zeichnet eine Landschaft nach.

Der Erzählende stellt manchmal ganze dramatische Szenen alleine dar, schlüpft abwechselnd in die beteiligten Personen, lässt alles lebendig werden, wobei die 5 Sinne mit einbezogen werden. Somit entstehen Bilder vor den inneren Augen. Der Zuhörer, der auch immer zugleich Zuschauer ist, nimmt die Erzählung als Bilderfolge wahr. „Frau Sommer, es ist ein Film. Es ist wie Fernsehen!“ (E. 8 Jahre alt, Nigeria)  

Der gleiche Prozess spielt sich im Erzähler ab. Er merkt sich die Geschichte, indem er so etwas wie einen inneren Film bildet, den er visualisierend abtastet und versprachlicht. Es ist u.a. dieses „interaktive“ und „audiovisuelle“, das den Reiz jedes Erzählens ausmacht. Das Hier und Jetzt erzählt die Geschichte und dieses ist eben einmalig.

Zielvorstellung

Märchen hören:

fördert Begabungen somit das eigene Potenzial, bildet Fähigkeiten heraus, trägt zur Fantasieentwicklung und Kreativität bei,  hilft bei der Persönlichkeitsbildung, beinhaltet Toleranzerziehung, führt zu schulischer Integrationserfahrung (Abbau fremdenfeindlicher Einstellung, Ausgrenzung andersartiger) und Spracherwerb. Das Erzählen wäre somit ein integraler Teil von Schulklassen im sozialen Brennpunkt bzw. Klassen mit Inklusion.

Vorgehensweise

Wie lange müssten Kinder Märchen hören, um u.a. Einsteins Behauptung zu manifestieren? 

Der Meinung von Regina Sommer nach, die seit über 20 Jahren als professionelle Erzählerin arbeitet, handelt es sich um einen dreijährigen Prozess, der sich aus zwei Jahren hören (input) und einem Jahr selbst Erzählen (output) zusammensetzt.

Während ihrer 13-jährigen Tätigkeit als Erzählerin für die Yehudi Menuhin Stiftung im Bereich des Mus-E® Projektes von 1999 bis 2012 konnte sie entsprechende Erfahrungen sammeln. Als Künstlerin war sie in Grundschulklassen im sozialen Brennpunkt tätig, Hier trafen Kinder unterschiedlichster Art aufeinander. Kinder, die Ausgrenzung erfahren haben, Kinder mit ADHS, Kinder mit Lernbehinderung, fehlende Sprachkompetenz, E-Kinder. Alle lauschten den Märchen. Hier fielen alle Behinderungen, alle Probleme weg. Die Kinder hörten und malten anschließend ihr Bild dazu. Jeder arbeitete für sich in der Gemeinschaft. Als Künstlerin engagiert, war Frau Sommer an keine pädagogischen Richtlinien gebunden. Es galt nur, die Kinder im Sinne Menuhins zu respektieren. „Heißt zuzulassen, was schon vorhanden ist, was das Kind in sich trägt und es zur Entfaltung, zum Erblühen zu bringen. Die Gaben, die Fähigkeiten, die Talente, die sie alle von Anfang haben und die zu oft von unserer Gesellschaft verbogen werden.“

Hören Kinder ca. 2 Jahre lang wöchentlich Märchen, Mythen, fantastische Literatur, sind sie im 3. Jahr in der Lage u.a. eigene Gedanken aus zu drücken, Lösungen aus scheinbar ausweglosen Situationen zu entwickeln, in Teams zu arbeiten, Rollentausch in Geschichten und Theaterspiel von selbst zu leisten. In den Überlegungen der Kinder sind Ansätze und Ideen aus dem Gehörten zu erkennen, das sich um Neues erweitert. Der 10-jährige Omar aus Ägypten, der 2 Jahre in Deutschland war, formulierte es so: „Wenn man viele Märchen (Vergangenheit) hört, kann man für seine Zukunft vorbereiten, weil man bekommt viele Ideen!“ Des Weiteren wurde von Lehrern festgestellt, dass sich die Beobachtungsgabe der Kinder vertieft, die Teamfähigkeit, das soziale Miteinander, die Diskussionsbereitschaft und die Ausdrucksfähigkeit zunimmt, sowie das Denken schlechthin angeregt wird.

Erstes Jahr (Beginn im 2. Schuljahr) 

Im ersten Halbjahr ist es wichtig, das jede Woche erzählt wird. Es werden Märchen aus den Herkunftsländern der Kinder bzw. deren Eltern erzählt. Die Klasse soll sich mithilfe der Märchen kennen lernen. Nach dem Hören wird gemalt, wobei es keinerlei Einschränkungen bezüglich des „wie“ oder des „was“ gibt. Hier findet die Entwicklung der Fantasie, der Toleranz, der Persönlichkeit statt und nebenbei wird das bewusste Zuhören, Empathie, Verständnis für das andere geübt.  Am Ende des Jahres werden die gemalten Blätter zu einem Märchenbuch zusammengefügt. Jedes Kind gestaltet sein eigenes. So erfahren sie etwas über Design, Buchbinderei, Buchgestaltung über Bücher im Allgemeinen.

Zweites Jahr

Im 2. Jahr werden Erzählprojekte durchgeführt, wie z.B. „Gespenster, Zombies, Geister“, „Helden und Superhelden“ „Die griechische Götterwelt“ Das jeweilige Thema ist abhängig von den Kindern. Wieder wird zugehört und gemalt! Wieder werden Bücher hergestellt. Doch sie unterscheiden sich durch Art und Form von dem ersten Märchenklassenbuch. Wer möchte, kann sich schriftlich zu dem Gehörten ausdrücken. War die Umsetzung vorher frei in dem Gemalten, wird sie jetzt frei in der Form der Umsetzung, gleichzeitig geben die Inhalte bestimmte Vorgaben an, die es zu berücksichtigen gilt. Neben den Märchen werden Sagen, Fabeln, Mythen und Erzählungen vorkommen. Die Inhalte sind dichter und die Erzähldauer wird länger. Sie variiert zwischen 45 und 60 Minuten. Zum Ende des 2. Jahres gibt es ein gemeinsames Projekt: ein Theaterstück oder ein Wandrelief, wo ein jeder ein Teil des Gesamten wird. Am Ende des 2. Jahres haben die Kinder zwischen 60 – 70 Geschichten gehört. Jetzt kann erfunden werden.

Drittes Jahr

Die Kinder werden in die Kunst des Erfindens und Erzählens eingeführt. Im ersten Halbjahr wird mit den verschiedensten Methoden und Techniken das freie Erfinden, das Fabulieren entdeckt. Aus Reimwörtern entstehen ebenso Geschichten, wie aus zusammengewürfelten Wörtern. Es gilt immer den Verstand zu überlisten, um das Unerwartete, das Fantastische zu Wort kommen zu lassen. Die Kinder setzen ihre Geschichten in Rapps, in Lieder, in kleine Theaterstücke um. Im 2. Halbjahr lernen sie einmal mit Hilfe von Karten Geschichten bzw. Märchen zu erfinden, danach schriftlich Fixiertes in freies Erzählen zu verwandeln. In den letzten Monaten sucht sich jedes Kind ein Märchen seiner Wahl aus und lernt es frei vor der Klasse zu erzählen. Hier können die Kinder ein Märchen von den Eltern nehmen oder eines aus einem Märchenbuch. Sie können es verändern, ergänzen. Sie sind frei in den Inhalten. Am Ende des Schuljahres werden diese Märchen vor der Schulgemeinschaft und den Eltern erzählt. 

Einsteins Kinder befinden sich auf der Bühne des Lebens und spielen mit!

Zielgruppe/Schulen 

Es wurden Schulen ausgesucht, die sich in sozialen Brennpunkten befinden. Ein großer Teil der Kinder kommen aus einem bildungsfernen Milieu. Die Eltern besitzen keine große Schulbildung, manchmal ist ein Elternteil Analphabet. Es gibt einen relativ hohen Migrations- hintergrund.  

Die gewählten Schulklassen sind zu dem noch Inklusionsklassen, d.h. Kinder mit besonderem Förderungsbedarf sind ein Teil der Klassengemeinschaft.

Es sind 10 Klassen an der Studie beteiligt. In fünf Klassen werden die Erzählungen erfolgen, die fünf Parallelklassen werden als Kontrollgruppen dazu gezogen. Es sind ca. 200 Schüler und Schülerinnen an der Studie beteiligt.